Spiritualität, Yoga und Therapie sind verschiedene Ebenen, die zwar miteinander wechselwirken, aber sich nicht treffen und keine Rangordnung haben. Sie werden mit Stufen verwechselt, so als ob darin eine Entwicklung beschrieben wird. Typisches Missverständnisse sind z.B. „Wenn du erst … glaubst, hast du keine Probleme mehr.“ Stufen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie aufeinander aufbauen, eine Entwicklung darstellen und die vorangehenden Stufen transzendieren.
David Deida beschreibt dies so:
„Spiritualität, Yoga und Therapie sind unterschiedliche Ansätze – von Moment zu Moment. Therapie behebt Funktionsstörungen und führt zur besseren Funktion. Yoga erhöht den Fluss. Und Spiritualität bringt dich zum Leuchten. Sie brauchen jeweils unterschiedliche Rahmenbedingungen: Gute Therapie erfordert Sicherheit, Unterstützung, Sanftheit, Verständnis, Respekt und Ehrlichkeit. Yoga bringt dich in Kontakt zu deinen Grenzen, so dass Energie durch dich fließen kann. Spiritualität hat keine Voraussetzungen.
Wenn du eine Analogie möchtest, kannst du dir ein Buntglasfenster vorstellen. Du schaust dich selbst an und stellst fest, dass du zerbrochen bist, dass du keine innere Ruhe hast. Mit anderen Worten, du bist wie ein großes Buntglasfenster mit fehlenden Stücken, zerschlagen, misshandelt, zersplittert, verwundet, abgelehnt, all das, was wir alle kennen. Wir schauen uns an und denken: „Verdammt. Ich muss lernen, mich zu entspannen, die Teile von mir zu akzeptieren, die ich auf andere projiziere“, und all die psychologischen Fähigkeiten, die nützlich sind. Das ist wie das Ersetzen von Glas, das Reparieren von zerbrochenem Glas.
Yoga ist wie das Abwischen des Staubs vom Glas. Du kannst total kaputt sein und trotzdem gutes Yoga machen. Viele Yogis sind das. Du kannst therapeutisch, psychologisch, emotional völlig dysfunktional sein, ein Wrack, und trotzdem ein Meister-Yogi sein. Yoga ist die Fähigkeit, Licht, Energie, durch dich hindurchfließen zu lassen. Es kann Hatha-Yoga sein, das Energie durch deinen Körper fließen lässt, es kann emotionales Yoga sein, bei dem du emotionale Asanas, emotionale Haltungen, einnimmst und sie als Übung machst, damit der Energiefluss durch deine Emotionen fließender, offener, ungehinderter ist. Es repariert nicht die Teile von dir, die zerbrochen sind, es wischt nur den Staub ab, es macht dich transparenter, durchlässiger, du scheinst in der Lage zu sein, mit Energie auf jeder Ebene zu fließen.
Und dann die spirituelle Praxis. Sie beinhaltet weder das Reparieren des Glases, noch will sie das Glas für den Lichtfluss durchlässiger machen. Spirituelle Praxis, um es einfach auszudrücken, ist die Erkenntnis, dass du das Licht bist. Aber in Momenten der Erkenntnis, dass du das Licht bist, gibt es wenig Motivation, viel am Reparieren des Glases oder am Abstauben zu tun. Nicht, dass du es nicht tun solltest. Es gibt nur nicht viel inhärente Motivation. Du bist das Licht. Also, in der Position, das Licht zu sein, die wir alle in jedem Moment sind, wenn wir bereit sind, aufzuhören, in das Glas zu schauen, kommt dieses Licht gleichmäßig und vollständig durch jeden hindurch. Es ist jeder, es ist alles. Es gibt kein Gefühl von: „Oh, ich muss mich um mich selbst kümmern.“ Es ist ein universelles Kümmern, weil du das Licht bist, nicht das Glas.
Also, diejenigen von euch, die das Gefühl haben, dass ihr zerbrochen oder weniger funktional seid, als ihr sein könnt, brauchen in diesen Momenten Therapie. Wenn du dich zwar nicht festgefahren fühlst, aber in deinem Energiefluss behindert bist, brauchst du Yoga mit völlig anderen Randbedingungen. Yoga, so wie ich das Wort verwende, ist eine Kunstform. Was ist das richtige Umfeld für Kunst? Ist es Sicherheit, Ruhe, Weite? Möglicherweise. Manchmal ist es das. Aber denk an die Zeiten, in denen du am meisten inspiriert warst. Die radikalen Veränderungen in der Kunst finden die meisten Künstler an vorübergehenden Extremen. Nicht die ganze Zeit, aber wenn du einen Künstler kennst oder selbst einer bist, weißt du, dass Drogen, Sex und Rock’n’Roll ein großer Teil davon sein können. Aber auch das emotionale Drama und die Spannung des Lebens können genug Inspiration für gute Kunst liefern.
Nun, spirituelle Praxis, die Erkenntnis, dass du Licht bist, hat absolut keine Bedingungen. Wenn du welche kennst, sag sie mir. Ich persönlich habe noch nie jemanden gesehen, der durch Praxis spirituell offen geworden ist. Wie viele Menschen kennst du, die regelmäßig geübt haben und Idioten oder Durchschnittsmenschen sind? Und sind diese offener als deine Großmutter? Die meisten Großmütter, die ich kenne, sind offener als die meisten spirituell Praktizierenden, die ich kenne. Dies gilt besonders wenn man sich dem Tod nähert, wenn man ein erfülltes Leben hatte und entspannt, offen ist und diese Art von Weisheit besitzt. Also sehe ich keine direkte Beziehung zwischen irgendeiner Art von Praxis und spiritueller Verwirklichung. Ich kenne Menschen, die spontan wissen, dass sie Licht sind. Sie sagten einfach: „Wow, ich bin Licht.“ Ich kenne Menschen, die ihr Licht nach dreißig Jahren Praxis entdeckt haben. Und ich kenne Menschen, die nicht einmal wissen, dass sie Licht sind, aber sie leben eindeutig so, im Vergleich zu Menschen, die nur denken, sie wüssten, dass sie Licht sind.“
David Deida will insbesondere Polarität mit „Yoga“ stärken.
Komprimiert und bearbeitet aus David Deida: „Funktion, Flow and Glow“ (auf YouTube verfügbar, Teil 1 bis Minute 16; grundsätzlich dort Werbeblocker empfohlen)